Praxisbeispiel: Juliane ist als Chefsekretärin in einem großen Unternehmen tätig. Wie ihre Kolleginnen hat sie viel zu tun, aber sie ist dennoch stets gut gelaunt und bester Dinge.
Eines Tages platzt es aus ihrer Kollegin Sylvia heraus: „Wie kannst du bei diesem Dauerstress nur so vergnügt bleiben? Wir anderen drehen schier durch – und du lächelst nur, wenn unsere Chefin, Frau Müller, noch mehr neue Arbeit auf deinem Schreibtisch ablädt! Was ist dein Geheimnis – verrätst du es uns, bitte schön?“
Stress wird individuell empfunden
Zunächst ist Juliane etwas überrascht. Sie merkt natürlich, dass sie viel zu tun hat, aber ihr war entgangen, dass die Kolleginnen die Arbeitsbelastung so negativ empfinden.
Genau das macht eine objektive Bewertung von Stress so schwierig: Jeder Mensch hat eine andere Belastungsgrenze. Was etwa für Juliane überhaupt kein Problem darstellt, kann eine andere Kollegin bereits als massiven Stress empfinden, der sich negativ auswirkt.
Folgerichtig unterscheidet man zwischen positivem und negativem Stress. Positiver Stress animiert uns zu Höchstleistungen; negativer Stress hingegen kann lähmend wirken.
Wovon hängt es ab, wie wir Stress wahrnehmen?
Ob wir eine Situation als (negativ) stressig erleben oder nicht, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Wichtig ist auf jeden Fall, ob Sie selbst etwas tun können oder ob Sie das Gefühl haben, der Situation/den Anforderungen ausgeliefert zu sein. Aber auch Erfahrungen aus der Vergangenheit tragen zur Bewertung einer Situation bei und damit zum individuellen Stressempfinden.
Positiver Stress – oft nehmen wir ihn gar nicht richtig wahr
Der positive Stress (auch „Eustress“ genannt) wird oft gar nicht als Stress wahrgenommen. Sie sind im Flow, Sie erleben sich selbst und die Situation als angenehm und bereichernd. Ihre Leistungsfähigkeit steigt. Sie haken Punkte auf Ihrer To-do-Liste im Rekordtempo ab; jeder Haken gibt Ihnen neue Energie. Da Sie mit den Aufgaben vertraut sind, gehen Sie zuversichtlich in die Vorbereitungsphase. Ihr Chef weiß, dass er sich auf Sie verlassen kann, und lässt Ihnen freie Hand. Taucht ein neues Problem auf, suchen Sie hochmotiviert und kreativ nach Lösungen.
Auch wenn Sie in der Mittagspause stöhnen „Grad ist es wirklich stressig, ich hab unglaublich viel zu tun!“ – Sie genießen es und sind im Einklang mit sich selbst.
Positiver Stress steigert unsere Leistungsfähigkeit
Übrigens empfinden Sie die Situation nicht als stressig, weil Sie die Stress-Energie direkt loswerden. Sie sind aktiv, Sie können handeln, die Energie wird verbraucht. Etwas medizinischer ausgedrückt: Sie werden das entstehende Adrenalin direkt wieder los, weil Sie es in Aktion umsetzen. Höchstwahrscheinlich werden Sie in dieser Zeit auch nicht krank werden, weil Ihr Immunsystem sehr effektiv jeden Infekt abwehrt.
Negativer Stress – den spüren wir deutlich
Viel Arbeit bedeutet nicht unbedingt viel Stress. Erst wenn Ihre Arbeit Gefühle von Druck erzeugt, fühlen Sie negativen Stress. Wenn Sie jetzt anfangen, aufwendige Arbeitslisten zu verfassen und Protokoll über Ihre Tätigkeiten zu führen, geraten Sie noch mehr unter Zeitdruck – in hektischen Zeiten eher nicht praxistauglich.
Warum der negative Stress so gefährlich werden kann
Das kann dann sogar krank machen. Anhaltender negativer Stress führt nämlich dazu, dass das Adrenalin im Körper bleibt, Sie also ständig mit einem erhöhten Adrenalinspiegel herumlaufen. Die Folgen können sein:
- Pessimismus
- Resignation
- dauernde Müdigkeit
- Reizbarkeit
- Schlafstörungen
- Infektanfälligkeit
Diese ersten Symptome sollten Sie ernst nehmen. Sobald Sie sie an sich feststellen, steuern Sie gegen, und zwar mit den Tipps, die Sie in dieser Sonderausgabe finden. Da der negative Stress sich eben nicht durch den Auslöser abbauen lässt (wie bei der Vorbereitung des Vertriebs-Kickoffs, bei dem Sie das Steuer in der Hand haben), laufen Sie ansonsten Gefahr, in eine Abwärtsspirale zu gelangen.
4 Tipps, um negativen Stress zu vermeiden
Eine Woche später geht Juliane mit ihren Kolleginnen Sylvia und Marlene nach Feierabend gemütlich essen. Sie hat inzwischen darüber nachgedacht, wie sie ihren fordernden Büroalltag meistert. Die folgenden Ratschläge gibt sie ihren Kolleginnen.
1. Aufgaben nicht persönlich nehmen
„Egal, welche Aufgaben Frau Müller mir auf den Schreibtisch packt – ich nehme es nicht persönlich. Als ihre Assistentin ist es mein Job, sie so gut wie möglich zu unterstützen, also arbeite ich ihre Arbeitsaufträge so schnell wie möglich ab. Dabei hilft mir, dass ich gerne neue Herausforderungen annehme, das weckt ein bisschen meinen sportlichen Ehrgeiz.“
Dank dieser Einstellung hinterfragt Juliane nicht jede Aufgabe und kann so ihre Energie in die Erledigung stecken. Langfristig erspart sie sich damit sehr viel Frust.
2. Sich selbst loben
„Auch wenn ich den ganzen Tag nur Routinekram abarbeite, klopfe ich mir immer wieder innerlich auf die Schulter und lobe mich. Schließlich leiste ich gute Arbeit, und das sage ich mir regelmäßig selbst!“
Das ist eine clevere Strategie, um die eigene Motivation beizubehalten. Juliane ist berufserfahren und weiß genau, was sie in ihrem Job leistet. Vermutlich wird Julianes Chefin sie nicht jedes Mal loben, wenn eine Routineaufgabe korrekt und termingetreu erledigt worden ist, und wahrscheinlich fände Juliane das auch eher merkwürdig. Ihr stummes Eigenlob macht sie zufrieden und stärkt wirkungsvoll ihr Selbstbewusstsein. Dadurch wird Juliane auch einen arbeitsintensiven Tag zwar als anstrengend, nicht aber als negativ stressig empfinden.
3. Ein „Zuviel“ sofort ansprechen
„Wenn Frau Müller mir ein unmögliches Arbeitspensum überträgt, sehe ich mir die einzelnen Aufgaben kurz an und liste sie auf. Ich schreibe daneben, wie lange ich dafür ungefähr brauchen werde (mit einem Puffer für die Dinge, die unvorhersehbar auftauchen werden). Und dann gehe ich zu ihr und bespreche mit ihr unter vier Augen, was wirklich sofort erledigt werden muss, was warten kann und was vielleicht auch jemand anderes erledigen könnte. Sie rollt dann zwar immer mit den Augen, aber mittlerweile weiß sie, dass sie Entscheidungen treffen muss, wenn ich mit so einer Liste zu ihr komme.“
Juliane gibt mit ihrer Liste dem Stress, der durch „zu viel zu tun“ entstehen kann, keine Chance. Wichtig hierbei sind zwei Faktoren: Zum einen stellt Juliane zusammen, was tatsächlich gerade zu erledigen ist, und sie ergänzt die Aufzählung mit einem aus jahrelanger Berufserfahrung realistisch dokumentierten Zeitaufwand. Zum anderen spricht sie diese Zusammenstellung unter vier Augen mit ihrer Chefin durch. Dieser Aspekt ist weitaus wichtiger.
Die Chefin weiß, dass sie eine Priorisierung vornehmen muss, und aus der Vergangenheit weiß sie auch, dass Juliane nur dann auf sie zukommt, wenn sie wirklich zu viele Aufgaben auf dem Schreibtisch hat.
4. Nach der Arbeit ist Feierabend
„Ich achte darauf, dass ich abends das Büro in der Firma lasse. Auch wenn’s mal wieder länger gedauert hat: Mein Feierabend ist mir heilig. Egal, ob ich dann noch eine Runde laufen gehe oder einfach nur zu Hause bin, ich schiebe Gedanken an die Arbeit sofort weg, wenn sie auftauchen. Klar gelingt mir das auch nicht immer – aber meistens klappt’s!“
Damit gehört Juliane zu den Menschen, die ihr Gedankenkarussell gut im Griff haben. Für sehr viele Arbeitnehmer ist das eine der größten Herausforderungen.
Wenn Sie auch dazugehören, versuchen Sie Folgendes: Wenn ein Gedanke an Ihren Job auftaucht, dann ärgern Sie sich nicht. Denken Sie nur: „Du bist jetzt nicht dran.“ Je weniger Sie sich darüber ärgern und je souveräner Sie den Gedanken freundlich, aber bestimmt auf den nächsten Morgen verschieben, desto schneller sind Sie ihn wieder los und umso weniger stresst er Sie.
Fazit: Geben Sie negativem Stress keine Chance
Juliane verrät ihren Kolleginnen ihren persönlichen Mix an Methoden, um negativen Stress erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Grundsätzlich ist Stress nicht schädlich – das wird er erst, wenn er uns belastet. Handeln Sie diesen vier Tipps entsprechend, geben Sie den negativen Stressauswirkungen keine Chance, sondern können Ihren Alltag motiviert bestreiten.